Am Mittwochabend griff die Polizei gegen propalästinensische Aktivisten im Dartmouth College durch.
Am Mittwochabend griff die Polizei gegen propalästinensische Aktivisten im Dartmouth College durch.
AP/James M. Patterson

Wie antisemitisch sind die massiven antiisraelischen Proteste an US-Universitäten? In der Debatte über diese Frage sticht immer wieder ein Faktum hervor: Ein beträchtlicher Anteil der Studierenden und Lehrenden, die aus Solidarität mit Palästinensern Zeltlager errichten und Uni-Gebäude besetzen, ist selbst jüdisch.

Eine von ihnen ist nun ins Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit geraten: Gemeinsam mit 90 anderen Personen wurde die Historikerin Annelise Orleck im renommierten Dartmouth College bei der Räumung eines Zeltlagers festgenommen und von Polizisten dabei zu Boden geworfen. Das Video, in dem die grobe Behandlung der 65-Jährigen zu sehen ist, ging viral auf den sozialen Medien. Laut Augenzeugen begann die Konfrontation, als Orleck die Polizei mit ihrem Handy filmte und dieses ihr entrissen wurde.

Annelise Orleck schrieb auf X, sie sei von der Polizei grob behandelt und verletzt worden.
Annelise Orleck schrieb auf X, sie sei von der Polizei grob behandelt und verletzt worden.
Joel Benjamin

Orleck behauptet, sie habe sich nur schützend vor Studenten gestellt. Ihre Nachfolgerin als Leiterin der Fakultät für jüdische Studien, Susannah Heschel, sagt, sie habe "sich bewusst dorthin begeben, wo ihr gesagt wurde, dass sie verhaftet werden wird".

Aus Brooklyn nach Dartmouth

Ihr ganzes Leben hat sich Orleck für progressive Anliegen engagiert, politisch und akademisch, und folgt damit dem Vorbild vieler anderer jüdischer Intellektueller. Geboren im New Yorker Stadtteil Brooklyn, studierte sie Geschichte und Soziologie und kam 1990 als junge Lektorin nach Dartmouth in New Hampshire, das zu den Ivy-League-Universitäten zählt.

Frauen, ethnische Minderheiten und die Arbeiterinnenbewegung waren und bleiben ihre zentralen Themen. Sie schrieb über jüdische Einwanderinnen aus der Sowjetunion in den USA, den Kampf schwarzer Mütter für ein besseres Leben, feministischen Aktivismus sowie Armutsbekämpfung in den USA und weltweit. Ihr jüngstes Buch trägt den Titel: We Are All Fast-Food Workers Now: The Global Uprising Against Poverty Wages. Ihre Partnerin, die Publizistin Alexis Jetter, unterrichtet Journalismus in Dartmouth und arbeitet mit ihr bei progressiven Forschungsprojekten zusammen.

Bis zu den Zusammenstößen am Mittwochabend war Dartmouth von den Turbulenzen anderer Universitäten verschont geblieben. Die Universitätsleitung hatte sich um Dialog bemüht und will dies weiterhin tun. Als Auflage für ihre Enthaftung verbot ihr ein Richter, den Campus sechs Monate lang zu betreten. Dartmouth will sich nun dafür einsetzen, dass Orleck weiter unterrichten kann. (Eric Frey, 3.5.2024)