Der israelische Film- und Theaterregisseur Amos Gitai.
Der israelische Film- und Theaterregisseur Amos Gitai am Montag, 29. April 2024, im Rahmen einer Probe zu "Chronik eines Mordes – Jitzchak Rabin" im Burgtheater in Wien.
APA/GEORG HOCHMUTH

Der israelische Filmemacher Amos Gitai ist derzeit in Österreich stark präsent. In Salzburg läuft in der Galerie Ropac noch einige Tage eine Ausstellung mit Zeichnungen und Keramiken. Das Filmmuseum hat gerade eine Retrospektive mit einer repräsentativen Auswahl aus seinem umfangreichen Werk eröffnet. Und am Burgtheater feiert sein Stück über den israelischen Politiker Jitzchak Rabin, der 1995 von einem rechtsextremen jüdischen Fanatiker ermordet wurde, am 4. Mai Premiere. Beim Gespräch spielen die aktuellen Ereignisse seit dem 7. Oktober unweigerlich eine große Rolle.

STANDARD: Herr Gitai, Sie präsentieren an der Burg Ihr Stück über Jitzchak Rabin: Chronik eines Mordes aus dem Jahr 2016. Haben Sie nach dem Angriff der Hamas noch Aktualisierungen vorgenommen?

Gitai: Das Stück wird zum ersten Mal auf Deutsch aufgeführt, mit Bibiana Beglau und Dörte Lyssewski und einem fantastischen Chor. Die jüngsten Ereignisse machen es nur noch dramatischer, denn es macht uns das Fehlen einer politischen Figur deutlich, die mit einer Vision und Mut etwas unternimmt, das uns aus dieser Ausweglosigkeit befreien kann. Rabin war so eine Figur. Er wurde dafür ermordet.

STANDARD: Sie haben über das Attentat auf Rabin im Jahr 1995 einen Film gemacht, der wie ein Thriller funktioniert. Das Thema treibt sie offensichtlich um. War das der entscheidende Moment für Israel/Palästina?

Gitai: Ich bin mit Rabin nach Washington und Kairo gefahren. Er war immer dafür, dass die Dinge zu Ende gedacht werden. Wenn wir Gaza verlassen, dann müssen wir dafür sorgen, dass es dort genug Wasser gibt und dass die Krankenhäuser genug Sauerstoff haben. So hat er gedacht. Rabin war ursprünglich General und kam zu diesen Schlüssen. Deswegen müssen wir ihn in Erinnerung rufen.

Jitzchak Rabin in einem Filmstill aus Amos Gitais Film
Jitzchak Rabin in einem Filmstill aus Amos Gitais Film "Rabin, the Last Day" von 2015.
Österreichisches Filmmuseum

STANDARD: Ist das eine Aufgabe der Kunst: versäumte Gelegenheiten der Vergangenheit klarmachen?

Gitai: Wir können nur gegen Revisionismus arbeiten, also gegen Menschen, die davon leben, dass sich niemand mehr an Alternativen erinnert. Picasso hat viele erotische Bilder gemalt, aber stärkere Wirkung hatte er mit Guernica. Der Diktator Franco hat das politische Duell gewonnen, er hat nach dem Bürgerkrieg in Spanien jahrzehntelang geherrscht. Aber im langfristigen Gedächtnis hat Picasso gewonnen. Es ist die Aufgabe der Kunst, das einzuprägen.

STANDARD: Wie kamen Sie zum Kino? Sie sind in vielen Bereichen tätig, aber das Filmemachen scheint doch der Kern Ihres Werks.

Gitai: Ich habe nie Film studiert, sondern Architektur in der Tradition meines Vaters. Ich habe dann umgeschwenkt, denn Film ist ein Medium, mit dem ich reagieren kann, wenn mich etwas sehr bewegt oder etwas sehr schockiert. Meine Arbeit sehe ich auch als eine staatsbürgerliche Geste. Vor 40 Jahren habe ich mit einem Film begonnen, der auch eine Metapher war: ein Haus in Jerusalem, mit Palästinensern und Israelis. A House wurde damals von meinen Landsleuten nicht gut aufgenommen.

STANDARD: In Ihren Filmen scheinen Sie eher das zu verfechten, was man meistens eine Einstaatenlösung nennt.

Gitai: Ich habe mir eine Regel gesetzt. Politiker machen einen schlechten Job, ich will aber selbst keiner sein. Deswegen will ich so konkret nicht antworten. Wir müssen kritisch bleiben, hartnäckig bleiben und darauf drängen, dass die Politiker Lösungen finden. Rabin ging es nicht um einen oder zwei Staaten. Mit ihm kam der einzige Moment in den letzten 70 Jahren, in dem ein Politiker aus Israel gesagt hat: Bringen wir alle Fragen auf den Tisch. Jerusalem, Wasser, Geld. Rabin bewies außerordentlichen Mut gegen die Extremisten in Israel: gegen Netanjahu, gegen den Rechten Ben-Gvir, der Rabin mehr oder weniger für vogelfrei erklärt hat. Heute ist er Innenminister. Das muss man sich einmal vorstellen. Dagegen mache ich Filme.

STANDARD: Sehen Sie Auswege für die Region?

Gitai: Ich habe keinen deterministischen Blick auf die Geschichte, deswegen mag ich Filmemacher wie Michael Moore nicht. Wir sprechen hier miteinander in Mitteleuropa. Vor hundert Jahren gab es hier noch schreckliche Kriege, und irgendwann haben sich die Menschen entschlossen: Wir müssen das nicht mehr tun. Ich hoffe, dass in Israel auch so etwas passiert. Aber warten wir einmal die Wahlen in der EU ab, wer weiß, was sich daraus ergibt, was das für den Kontinent von Goethe und Mahler mit sich bringt. Künste können die Realität nicht verändern. Sie können nur Menschen zum Denken bringen.

STANDARD: Sie machen Dokumentarfilme und Spielfilme und haben im Lauf der Jahre nahezu alle Aspekte jüdischer Identität behandelt. Wie würden Sie Ihre eigene beschreiben?

Gitai: Israel wurde von Menschen geschaffen, die nicht religiös waren, sondern ein säkulares Judentum vertraten. Vor 2500 Jahren stand der Hellenismus im Mittelmeerraum für die Ästhetik, die Juden brachten eine Ethik. Außerdem ist das Judentum eine Kultur, die dazu ermutigt, kritisch zu sein. Selbst König David wird in der Bibel als eine sehr amoralische Figur geschildert, also aus einer kritischen Perspektive.

STANDARD: Wie haben Sie den 7. Oktober erlebt? Man sagt, jeder Mensch in Israel kennt persönlich ein Opfer dieses Angriffs.

Gitai: Das ist bei mir nicht anders. Ein enger Freund der Familie ist eine Geisel. Eine Frau, die sich sehr für palästinensische Kinder engagierte, die sie in Krankenhäuser brachte, wenn es nötig war, wurde unter den Toten gefunden, sie verbrannte in ihrem Kibbuz. Solche Schicksale bestimmen auch meine Arbeit. Ich individualisiere: die Frau eines Frommen in Kadosh, der Soldat in Kippur, die Einwanderer in Kedma. Menschen werden von den großen Kräften zermalmt. Kippur ist meine eigene Geschichte. Ein junger Mann möchte bei der Freundin sein, aber der Krieg beginnt.

In
In "Kippur" erzählte Amos Gitai seine eigene Geschichte.
Österreichisches Filmmuseum

STANDARD: Vor allem in Deutschland, aber auch allgemein wird stark darüber gestritten, ob und in welcher Form Kritik an Israel angemessen und zulässig ist und wann sie antisemitisch wird.

Gitai: Kritik ist natürlich notwendig. Aber manche Menschen sind nicht nur kritisch, sie sind feindselig. An der Columbia-Universität sind gegenwärtig viele feindselig. Die Juden verdienen auch ein Stück Land auf diesem schönen Planeten. Kritik ist für mich ein Akt der Liebe, nicht des Hasses. Ich möchte, dass mein Land besser wird.

STANDARD: Woran arbeiten Sie gerade?

Gitai: Immer gleichzeitig an vielen Projekten. Ich habe etwas über den berühmten Dialog zwischen Freud und Einstein vor: Warum Krieg? Und ich möchte die Erinnerungen meiner Mutter verfilmen, mit österreichischen Produzenten, da sollen Teile in Wien gedreht werden. (Bert Rebhandl, 4.5.2024)