Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) konnte laut einer Sprecherin einer Farbattacke nur knapp entkommen.
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Wien – In Wien wird am Montag und Dienstag die jährlich stattfindende internationale Konferenz gegen Antisemitismus abgehalten. Am Dienstag soll der deutsch-israelische Philosoph Omri Boehm im Rahmen der Wiener Festwochen die diesjährige "Rede an Europa" halten. Beide Veranstaltungen sorgten am Montag für Kontroversen.

Ein Aktivist soll Montagfrüh versucht haben, Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) vor der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), in der die Antisemitismus-Konferenz stattfindet, mit roter Farbe zu überschütten. Darüber berichteten Kurier und Kronen Zeitung. Der Aktivist soll ein Plakat gehalten haben, auf dem "Genozid" stand. Laut einer Sprecherin der Ministerin konnte Edtstadler dem Angriff nur entkommen, weil eine Mitarbeiterin sie in letzter Sekunde gewarnt hatte. "Der Anschlag galt ganz klar ihr und der Konferenz gegen Antisemitismus", sagt die Sprecherin zu Kurier und Kronen Zeitung. Sie ordnet den Mann dem "linken Spektrum" zu.

Auf Bildern sind große Lacken aus roter Farbe auf dem Boden vor der ÖAW zu sehen. Andere Teilnehmer der Konferenz wie Oskar Deutsch, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, sollen nach dem Angriff über andere Eingänge in das Gebäude gebracht worden sein. Edtstadler dankte der Wiener Polizei für das rasche Einschreiten. "Es ist beschämend, dass eine Konferenz in Österreich, die sich der internationalen Vernetzung im Kampf gegen Antisemitismus widmet, ohne Polizeischutz nicht mehr friktionsfrei abgehalten werden kann", sagte die Ministerin. Erst vergangene Woche hatte sie vor zunehmendem linkem Antisemitismus gewarnt.

Aktivist der "Letzten Generation"

Bei dem Aktivisten handelte es sich um ein ehemaliges Mitglied der Protestbewegung "Letzte Generation". Der Protest richtete sich gegen die "Normalisierung eines Völkermordes" und für einen "Waffenstillstand" im Gazastreifen, sagte der Aktivist David Sonnenbaum der APA. "Hier geht es nicht um Antisemitismus. Hier geht es darum, jede Kritik am Vorgehen des Staates Israel zu unterdrücken", so Sonnenbaum, der selbst Mitglied der jüdischen Gemeinschaft in Österreich ist.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) zeigte sich am Rande des Festakts zum Europatag betroffen von der Farbattacke auf Edtstadler und die anderen Konferenzteilnehmer. "Antisemitismus ist das Gift jeder Demokratie", betonte der Kanzler. Es müsse alles getan werden, um Antisemitismus in der Gesellschaft zu bekämpfen. Gewalt werde polizeilich verfolgt. Auch Vizekanzler Werner Kogler äußerte sich auf X und sprach von einem "vollkommen unzulässigen Angriff", der "auf das Schärfste zu verurteilen" sei. Kogler ortete einen "antisemitischen Tabubruch".

Auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) verurteilte die Farbattacke auf das Schärfste. "Erst am Wochenende wurde in Dresden ein SPD-Politiker Opfer eines Angriffes mit rechtsextremen Hintergrund und musste schwer verletzt im Spital operiert werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass Extremisten jedweder Gesinnung ihre kruden Ansichten und Weltvorstellungen mit roher Gewalt durchsetzen wollen. Es braucht auch hier eine klare Haltung, und nicht nur schöne Worte", so Sobotka in einer Stellungnahme zur APA.

"Purer Antizionismus und damit Antisemitismus"

Edtstadler äußerte sich am Montag auch zur umstrittenen Rede von Omri Boehm auf dem Wiener Judenplatz, die am Dienstag stattfinden soll, und unterstellte dem deutsch-israelischen Philosophen Antisemitismus. Es sei "dringend an der Zeit zu überdenken, ob man jemandem, der Kritik an Israel übt, die keine Kritik an Israel ist, sondern purer Antizionismus und damit Antisemitismus, tatsächlich eine Bühne mitten in Wien gibt", wird sie im Ö1-Mittagsjournal zitiert. Auch Oskar Deutsch verschärfte auf der Antisemitismus-Konferenz seine Angriffe auf die Wiener Festwochen, die Boehm eingeladen hatten, und kritisierte in dem Zusammenhang auch die Stadt Wien.

IKG-Präsident Oskar Deutsch kritisierte die Wiener Festwochen und die Stadt Wien scharf.
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Boehm, der in seinen Büchern für einen gemeinsamen Staat von Juden und Palästinensern eintritt, vertrete weder Israelis noch Juden und würde "Antisemiten in aller Welt den Weg ebnen", sagte Deutsch. Dass die Festwochen trotz aller Proteste an der Rede auf dem symbolträchtigen Judenplatz festhielten, sei ein "Zeichen des bösen Willens". Er frage sich auch, warum die Stadt Wien, der Sponsor der Festwochen, dies zulasse, sagte Deutsch. Dass Boehm selbst jüdisch sei, ändere nichts, sagte Deutsch und zog einen Vergleich mit dem einstigen Wiener Bürgermeister Karl Lueger, einem radikalen Antisemiten, der dennoch mit Juden befreundet war und dies mit dem kolportierten Satz rechtfertigte: "Wer a Jud ist, bestimme ich."

Deutsch schloss seine Rede auf der Konferenz mit den Worten: "Wir können nicht akzeptieren, dass jene eingeladen werden, die Hass gegen Israel und Juden schüren." Boehm hat sich in seinem Buch Israel – eine Utopie 2020 für eine binationale Föderation als Alternative zur anhaltenden Besatzung und auch zur Zweistaatenlösung ausgesprochen. Er kritisiert außerdem die Instrumentalisierung der Holocaust-Erinnerung für politische Zwecke, vor allem durch die israelische Rechte, und spricht dabei von "Holocaust-Messianismus". Er unterrichtet an der links-progressiven New Yorker New School. Im März hat er den "Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung" für sein aktuelles Buch Radikaler Universalismus. Jenseits von Identität bekommen.

Gemeinsame Grundlage der Gleichheit

Boehms Argumentation fußt auf einer äußerst gewissenhaften Auslegung des Kant'schen Universalismus-Konzepts: Ehe man Menschen nationalistisch zuordnet, müsse man sich der Unteilbarkeit ihrer Würde bewusst sein. Erst die Besinnung auf den "gemeinsamen" Besitz der Grundrechte ermögliche einen kritischen Austausch von Meinungen. Es ist die gemeinsame Grundlage der Gleichheit, so Boehm, auf der die Idee der Freundschaft gedeihen könne. Mit Blick auf Israels Zukunft, aber auch auf Europa spricht Boehm von der Notwendigkeit eines Zusammenlebens, das föderativ organisiert wird.

Der Philosoph Omri Boehm spricht sich im Nahostkonflikt für eine binationale Föderation aus.
Marzena Skubatz

Die "Rede an Europa" findet zum dritten Mal auf dem Wiener Judenplatz statt, wo sich auch das Holocaust-Denkmal befindet, und hat in vergangenen Jahren keine Kontroversen ausgelöst. Boehms Rede soll sich mit dem Nahostkonflikt und der Herausforderung für Europa beschäftigen, der genaue Inhalt ist nicht öffentlich bekannt.

Aufgrund des massiven Drucks durch die IKG und den Präsidenten des Europäischen Jüdischen Kongresses, Ariel Muzicant, hat sich die Erste-Stiftung als Sponsor zurückgezogen. Muzicant war mit der Bemerkung aufgefallen, wäre er 30 Jahre jünger, würde er bei der Rede mit Eiern werfen. Der Autor Daniel Kehlmann, der mit Boehm ein Gesprächsbuch über Kant veröffentlicht hat, bezeichnete Muzicants Aussagen im Ö1-Mittagsjournal als einen "Gewaltaufruf" und "absolut empörend". Muzicant habe nie ausgeführt, was ihn an Boehm eigentlich wirklich störe.

Die gesamte Debatte bezeichnete Kehlmann als "lachhaftes Missverständnis", er beobachte mit "Verblüffung und Unverständnis", was gerade passiert. Er sieht Boehm als "Kompromisskandidat, auf den sich eigentlich alle einigen könnten". Boehm sei ein "absoluter Vertreter des Universalismus", deshalb sei es nur konsequent, dass er sich dafür ausspricht, dass "irgendwann Juden und Palästinenser als gleichberechtigte Bürger in einem demokratischen Staat leben können". (Eric Frey, Ronald Pohl, Clara Wutti, APA, 6.5.2024)