Die Wortmeldungen von ÖVP-Politikern und -Politikerinnen der vergangenen Wochen zeigen es: Im laufenden EU-Wahlkampf – und im Vorwahlkampf zur Nationalratskür – setzt die Kanzlerpartei auf das Thema Flüchtlinge, wie auch schon in früheren Jahren. Zuletzt kündigte Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) schärfere Kontrollen von Dokumenten und mehr DNA-Tests beim Familiennachzug an, der von Jänner bis inklusive März des heurigen Jahres für knapp die Hälfte der insgesamt 6922 Asylanträgen verantwortlich war.

Derlei Überprüfungen seien schon jetzt asylgesetzlich vorgesehen und geübte Praxis, merkten daraufhin der grüne Koalitionspartner, die Neos sowie Asylfachleute an. Auch frühere von der ÖVP kommende Pläne für härtere Auflagen, etwa dass ein in Österreich befindlicher, erwachsener anerkannter Flüchtling selbsterhaltungsfähig sein müsse, um seine Angehörigen nachzuholen, stießen auf Kritik. Was steckt hinter den Vorschlägen, was hinter den Einwänden gegen sie?

Erstaufnahmezentrum Traiskirchen
Erstaufnahmezentrum Traiskirchen: Auch Kinder, Eltern und Ehepartner anerkannter Flüchtlinge kommen nach ihrem Asylantrag dorthin, aber vielfach nur kurz.
Foto: Heribert Corn

Frage: Derzeit kommen monatlich hunderte Menschen, vor allem Frauen und Kinder, auf Grundlage des Familiennachzugs nach Österreich. Könnten strengere Identitätskontrollen, Sicherheitsüberprüfungen und mehr DNA-Tests diese Zahl – und damit die Zahl von Asylanträgen auf dieser Grundlage – reduzieren?

Antwort: Sie würden die Einreisen eher nur verzögern, denn schon jetzt sind die Identitäts- und Sicherheitsüberprüfungen an den österreichischen Botschaften, wo Familiennachzugsanträge gestellt werden, gründlich. Einreisen dürfen minderjährige Kinder eines Asylberechtigten, Eltern eines anerkannten minderjährigen Flüchtlings sowie Ehe- und eingetragene Partner. Deren Identität wird an den Botschaften durch eigene Verbindungsbeamte überprüft. Im Fall von Zweifeln werden das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie das Bundeskriminalamt in Österreich eingeschaltet. Aus dem Innenministerium hieß es auf Fragen des STANDARD am Montag, in Syrien seien "seit einiger Zeit vermehrt gefälschte Dokumente im Umlauf". Daher werde "bei der Familienzusammenführung verstärkt auf den Einsatz von speziell geschulten Dokumentenprüfern vor Ort an den Botschaften gesetzt". Bei den "geringsten Zweifeln an der Echtheit der Dokumente" würden strenge weitere Prüfungen wie zum Beispiel DNA-Analysen durchgeführt.

Frage: Wann und wo werden derzeit in Familiennachzugsverfahren DNA-Tests durchgeführt?

Antwort: Laut Paragraf 13 des BFA-Verfahrensgesetzes kann eine Person, die im Rahmen des Familiennachzugs an einer Botschaft im Ausland die Einreise nach Österreich beantragt hat, einen DNA-Test durchführen lassen, wenn Urkunden oder andere Dokumente laut den österreichischen Behörden nicht ausreichen, um das enge Verwandtschaftsverhältnis zu belegen. Der Vorschlag, in mehr Familiennachzugsfällen DNA-Tests durchzuführen, setzt also voraus, dass es derzeit in einer Reihe von Fällen Identitätszweifel gibt.

Frage: Wer zahlt die DNA-Tests, und wie viel kosten sie?

Antwort: Bezahlt wird ein Test vom Antragsteller oder der Antragstellerin. Belegt die Analyse die Verwandtschaft, kann die getestete Person die Rückzahlung der Kosten bei den österreichischen Behörden beantragen. Die DNA-Analyse muss entsprechend den in Österreich geltenden Qualitätskriterien stattfinden, in einer Reihe von Fällen werden die Proben daher nach Österreich geschickt. Laut der Preisliste eines Wiener Labors, das DNA-Analysen – vulgo Vaterschaftstests – durchführt, kostet ein Test von Vater, Kind und Mutter derzeit 249 Euro.

Frage: Zuletzt kam aus der ÖVP auch die Forderung, Familiennachzug nur zuzulassen, wenn der in Österreich befindliche anerkannte Flüchtling selbsterhaltungsfähig ist. Konkret würde das sämtliche Sozialhilfebezieher oder -bezieherinnen vom Familiennachzug ausschließen und ein eigenes Einkommen aus Arbeit voraussetzen. Für erwachsene anerkannte Flüchtlinge hält der Europarechtsexperte Walter Obwexer das für umsetzbar. Wo und wie ist diese Frage rechtlich geregelt?

Antwort: In der EU-Familienzusammenführungsrichtlinie aus dem Jahr 2003 sind anerkannte Flüchtlinge in Artikel zwölf explizit vom für andere Drittstaatsangehörige geltenden Nachweis ausgenommen, für den Unterhalt der nachgeholten Familienmitglieder sorgen zu können. Zwischen erwachsenen und minderjährigen Personen wird dabei nicht unterschieden.

Frage: Warum werden anerkannte Flüchtlinge hier besser behandelt als andere Drittstaatsangehörige?

Antwort: Weil eine Flucht keine freiwillige Migration, sondern das Verlassen der Heimat unter Zwang ist. Das ergibt sich aus den Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention. Um Menschen auch nach einer Flucht ein Recht auf Familienleben zu eröffnen, wie es in Artikel acht der Europäischen Menschenrechtskonvention generell geregelt ist, gibt es für sie diese Ausnahme. Laut österreichischem Asylgesetz gilt sie nur in den ersten drei Monaten nach Asylgewährung, danach muss ein anerkannter Flüchtling die Unterhaltsfähigkeit nachweisen. Subsidiär schutzberechtigte Personen wiederum müssen drei Jahre auf Familienzuzug warten.

Frage: Wie viele Menschen sind zuletzt auf Basis von Familienzuzug nach Österreich gekommen?

Antwort: Von den 6922 Asylanträgen im ersten Vierteljahr 2024 wurden 45 Prozent, also rund 3200 Anträge, auf Familiennachzugsgrundlage gestellt – von Familienangehörigen, die an einer Botschaft einen Antrag gestellt und eine Einreisegenehmigung erhalten hatten. Nur 29 Prozent, also rund 2000 Anträge, wurden originär, also direkt gestellt. 13 Prozent kamen von Mehrfachantragstellenden, 13 Prozent von in Österreich nachgeborenen Kindern anerkannter Flüchtlinge. Vor einem Jahr hatte es von Jänner bis inklusive März 10.218 Asylanträge gegeben. (Irene Brickner, 6.5.2024)

Der Artikel wurde am Montag, 6.5.2024 um 19 Uhr um eine Antwort aus dem Innenministerium ergänzt.