Ein Obdachloser auf der Mariahilfer Straße in Wien
Obdachlose Menschen, wie hier auf der Wiener Mariahilfer Straße, sollen künftig eine Wohnung bekommen.
Regine Hendrich

Österreich hat sich zum Ziel gesetzt, die Obdachlosigkeit bis 2030 zu beenden. Um das zu erreichen, nimmt sich die Regierung Finnland zum Vorbild. Denn während die Zahl der Obdachlosen in vielen europäischen Ländern seit Jahren steigt, hat Finnland das Problem fast gelöst. Nur noch etwa 3600 Menschen sind wohnungslos, bis 2027 soll mindestens die langfristige Obdachlosigkeit komplett verschwunden sein. Zum Vergleich: In Österreich gelten laut Statistik Austria 19.450 Menschen als obdach- oder wohnungslos, mehr als die Hälfte davon allein in Wien.

In Finnland wird das Housing-First-Konzept konsequent umgesetzt. Die Idee klingt simpel: Obdachlose Menschen bekommen zuallererst eine eigene Wohnung – ohne Vorraussetzungen. Es werden keine Notquartiere oder Übergangswohnungen bereitgestellt, sondern den Menschen direkt eine eigene Wohnung vermittelt. Sie unterschreiben den Mietvertrag und kommen selbst für die Miete auf. Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter begleiten und betreuen Betroffene nach Bedarf.

2020 haben sich alle EU-Staaten mit dem Unterzeichnen einer Erklärung dazu verpflichtet, daran zu arbeiten, die Obdachlosigkeit bis 2023 zu beenden. Das Sozialministerium will das nun ebenso mit dem Housing-First-Ansatz vorantreiben. Über 1000 wohnungslose Menschen sollen bis Herbst 2024 eine eigene Wohnung erhalten, hieß es im November. 6,6 Millionen Euro nimmt die Bundesregierung dafür in die Hand. Gemeinnützige Bauvereinigungen stellen für das Projekt im kommenden Jahr 512 leistbare Wohnungen zur Verfügung.

Seither wurden 192 Wohnungen an 358 Personen vermittelt, heißt es auf STANDARD-Anfrage aus dem Sozialministerium. Etwa 35 Prozent der Betroffenen sind minderjährige Kinder. Zwischen April 2021 und April 2023 lief das Vorgängerprojekt "zuhause ankommen", bei dem 1146 Menschen mit 565 Wohnungen versorgt wurden.

Wohnschirm schützt vor Delogierung

Neben dem Housing-First-Prinzip setzt das Sozialministerium auch auf Prävention. Der im März 2022 ins Leben gerufene Wohnschirm hilft Menschen mit geringem Einkommen, die ihre Miete nicht mehr zahlen können und dadurch von einer Delogierung bedroht sind. Seit Jänner 2023 unterstützt der Wohnschirm auch bei offenen Energiekostenrechnungen. Die Mittel dafür wurden von ursprünglich 24 Millionen auf mittlerweile 224 Millionen Euro bis Ende 2026 aufgestockt.

Seit Jänner 2022 wurden mit dem Wohnschirm 9000 Haushalte mit über 21.000 Menschen vor dem Wohnungsverlust bewahrt, heißt es aus dem Sozialministerium auf STANDARD-Anfrage. 54 Prozent der unterstützten Personen sind Frauen, in 44 Prozent der Haushalte leben minderjährige Kinder. Mit dem Wohnschirm Energie wurden seit Jänner 2023 zusätzlich über 24.000 Haushalte mit über 66.000 Menschen beim Bezahlen ihrer Energiekosten unterstützt.

Wohnbedarfserhebung bundesweit geplant

Im Sozialministerium gibt es seit Herbst 2021 auch eine Kompetenzstelle für sozialpolitische Angelegenheiten der Wohnpolitik. Die eigene Abteilung setzt Programme und Projekte um und ist auch für Grundlagenarbeit in dem Bereich verantwortlich. Aktuell wird etwa daran gearbeitet, eine bundesweite Wohnbedarfserhebung auf die Beine zu stellen.

Das Ministerium gab eine Machbarkeitsstudie für eine "Datenbasis zu Obdachlosigkeit, Wohnungslosigkeit und prekärem Wohnen" bei der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Auftrag, die im April erschienen ist. Sie zeigt, dass derzeit die bundesweiten Erhebungsmethoden lückenhaft und uneinheitlich sind, aber eine österreichweite Messung möglich ist. Salzburg liefert derzeit mit der Wohnbedarfserhebung die detailliertesten Zahlen und nimmt mit der durchgehenden Erhebung seit 1992 eine Vorreiterrolle ein. Die Zahlen erhebt jedoch nicht das Land, sondern das Forum Wohnungslosenhilfe. Einrichtungen aus dem Sozialbereich, die mit wohnungslosen Menschen zu tun haben, haben sich dazu zusammengeschlossen. (Stefanie Ruep, 3.5.2024)