Simone Eutebach ist seit vergangenem September Elementarpädagogin in einem Kindergarten der Wiener Kinderfreunde.
Heribert Corn

Ein kleines Mädchen rührt in einem Miniatur-Suppentopf. Ganz gemächlich. Ein Bub in einer roten Spider-Man-Jacke hopst an ihr vorbei. Ein anderer rückt mit einer Harry-Potter-Stoffpuppe unterm Arm ein Stück näher. Plötzlich fliegt eine rosa Plastiksuppenkelle quer durch den Raum. Dann: ein quietschendes Geräusch, Duschabzieher auf Tischplatte. Das Mädchen hat aufgehört zu kochen und zum Badutensil gegriffen.

Die Kindergartengruppe in der Neilreichgasse im zehnten Wiener Bezirk gleicht einem Wimmelbild. Und Simone Eutebach ist Teil davon. Seit vergangenem September ist sie die dritte Fachkraft im Team, zusätzlich zu Gruppenleiterin und Assistentin. Das aber nur auf Zeit. Denn Eutebach ist nicht auf dem klassischen Bildungsweg Elementarpädagogin geworden. Die ausgebildete Literaturpädagogin und Bibliothekarin ist Quereinsteigerin. Über die gemeinnützige Bildungsinitiative Teach for Austria, die sich auf besonders benachteiligte Standorte konzentriert, ist sie in den Favoritner Kindergarten gekommen. Das Programm, das vor mehr als zwölf Jahren erstmals sogenannte Fellows an Schulen schickte, vermittelt seine Teilnehmerinnen und Teilnehmer seit 2019 auch an den elementarpädagogischen Bereich – für zwei Jahre. Anders als in Mittelschulen, wo die Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger als vollwertige Lehrkräfte unterrichten, leiten diese in Kindergärten aber keine Gruppen. "Ich bin ein bisschen ein Luxus. Ich kann Gespräche führen, ich kann spielen, ich kann zuhören", sagt Eutebach.

Besserer Betreuungsschlüssel

Bei einer Kindergartengruppe mit 25 Drei- bis Sechsjährigen sieht der Personal-Kind-Schlüssel in Wien derzeit zwei Betreuerinnen und Betreuer vor. Zu wenig, findet die Leiterin des Standorts, Bianca Korn. Denn: Elementarpädagoginnen und Elementarpädagogen müssen planen, vorbereiten, beobachten. Für Beziehungsarbeit mit den Kindern bleibt da oft wenig Zeit.

Der Ruf nach besseren Rahmenbedingungen in Kindergärten ist seit Jahren ein lauter. Im vergangenen Oktober wurde in vielen städtischen und privaten Betrieben gestreikt. Heuer wurde die Petition "Elementare Bildung ist mehr wert" gestartet. Die Unterschriftenaktion, die vom Träger der Neilreichgasse, den Wiener Kinderfreunden, mitinitiiert wurde, fordert von der Bundesregierung unter anderem einen besseren Betreuungsschlüssel, mehr Zeit für Vorbereitung und Unterstützungspersonal.

Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) war bei einer Förderstunde dabei.
Heribert Corn

"Es ist dringend notwendig, dass der elementarpädagogische Bereich attraktiver wird", sagt auch der Wiener Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos). Die Stadt habe daher einen Stufenplan ausgearbeitet, der ab Herbst zusätzliche Assistenzstunden, etwa in Kleinkindergruppen, vorsieht. Ein langfristiges Ziel sei es, die Gruppen zu verkleinern. "Das ist aber schwierig, wenn Pädagoginnen fehlen", sagt Wiederkehr. Mehr als 1000 Stellen seien derzeit in Wiener Kindergärten offen.

Lernen, ohne es zu merken

Was bei mehr Ressourcen und kleineren Gruppen möglich wäre, zeigt Eutebach. 32 Stunden ist die 50-Jährige angestellt. Eine Stunde davon widmet sie sich täglich vor allem den Kindern im letzten Kindergartenjahr. Damit der Übergang in die Volksschule besser gelingt. Ihr Programm vor dem Schulstart: Wortschatzarbeit, Freude an Zahlen entwickeln, Buchstaben entdecken, Bücher lieben lernen. Mühen sich Kinder an der deutschen Sprache ab, nutzt Eutebach Reime und Fingerspiele. Es sei ein schönes Gefühl, den Kindern dabei zusehen, wie sie sich Tag für Tag mehr trauen, sagt sie. Und zu wissen: "Das können sie jetzt meinetwegen."

Sechs bunte Schmetterlinge sitzen auf sechs Kinderfingern.
Heribert Corn

An diesem Tag zieht in Eutebachs Förderstunde der Frühling ein. Selbstgebastelte papierne Schmetterlinge in knalligem Gelb, Orange und Rot sitzen auf den Fingern der sechs Kinder. Zusätzlich hat jedes Kind ein Stück Papier mit einem Entwicklungsschritt des Insekts in der Hand. Gemeinsam legen sie das Leben des Tieres nach. Unter den Fünf- bis Sechsjährigen, die im Herbst eingeschult werden, ist auch der Bub in der roten Spider-Man-Jacke. Auf seinem Blatt wird das Ei zur Raupe. Ein wenig später ist ein Mädchen in einem schwarzen Paillettenkleid an der Reihe: "Der Schmetterling ist fast draußen", ruft sie und hüpft vom Sessel. Dass die Kinder währenddessen sprechen, zählen, lernen, fällt ihnen in ihrer Aufregung nicht auf.

Neue Perspektiven 

Die Teach-for-Austria-Fellows werden vor allem dort eingesetzt, wo Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Familien in den Kindergarten gehen. Standorte mit hohem Sprachförderbedarf. Nur: Sollten dort nicht erst recht vollwertig ausgebildete Pädagoginnen und Pädagogen eingesetzt werden? Und zwar länger als zwei Jahre?

"Ein Quereinstieg ist nicht nur da, um Lücken zu schließen", sagt Vizebürgermeister Wiederkehr. Es sei auch ein Mehrwert in der Bildung, weil neue Perspektiven in die Kindergärten kämen. Zusätzlich zu den aktuell sieben Teach-for-Austria-Fellows, die bei privaten Trägern im Einsatz sind, arbeiten derzeit laut Stadt Wien rund 431 Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger aus verschiedenen Ausbildungsprogrammen in Wiener Kindergärten. Mittlerweile bietet auch die Kampagne des Bildungsministeriums, "Klasse Job", einen "Ausbildungswegweiser" in die Elementarpädagogik. Von den insgesamt neun über diese Schiene angebotenen Ausbildungen sind sechs für Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger gedacht.

Offene Türen

Teach for Austria setzt auf Hochschulabsolventinnen und Hochschulabsolventen, die vorab eine zwölfwöchige Sommerakademie und anschließend ein "Training on the Job" durchlaufen. Seit 2019 haben insgesamt 42 Fellows Wiener Kindergärten unterstützt. Zwölf haben sich dafür entschieden, dauerhaft in der Elementarpädagogik zu bleiben – als Sprachförderkräfte oder gruppenführende Pädagoginnen. Um eine Kindergartengruppe leiten zu können, muss allerdings eine reguläre Ausbildung abgeschlossen werden. Beim Hochschullehrgang Quereinstieg Elementarpädagogik etwa heißt das: vier Semester studieren.

Ein längeres Studium käme für Simone Eutebach nicht mehr in Frage. Sieht sich die 50-Jährige nach Ablauf der zwei Jahre weiterhin als Teil des Wimmelbilds? Sie könne sich eine Qualifizierung zur Sprachförderkraft gut vorstellen, sagt sie. Die Leiterin des Kindergartens in der Neilreichgasse hört das gern: "Wenn sie das tut: Meine Türen stehen offen." (Anna Wiesinger, 13.5.2024)