Piloten haben mehrere Back-up-Systeme, sollte die GPS-Navigation ausfallen. Jedoch steigt die Gefahr bei Starts und Landungen. Die europäische Luftfahrtbehörde ist besorgt.
AFP/ED JONES

Was sich seit Monaten im Luftraum über nordischen und baltischen Staaten abspielt, wird nun auch immer häufiger im Westen beobachtet: Russland soll im großen Stil GPS-Signale stören und damit den europäischen Flugverkehr behindern, berichten nun die "Times" sowie der "Guardian". Ob die Angst vor Drohnenangriffen auf eigenes Territorium dahintersteckt oder die Russen europäische Staaten einschüchtern wollen, bleibt offen.

Aktuell sind es Fluglinien aus Großbritannien, die ihre Bedenken öffentlich machen. Ryanair registrierte seit dem August 2023 allein 2300 Flüge, bei denen das GPS-Signal gestört wurde. Wizz Air spricht von 1400 Fällen, die British Airways von 82 und Easyjet von vier Fällen.

Insgesamt sollen Probleme mit dem GPS-Signal 46.000 Flüge über der Ostsee beeinflusst haben, zumindest wurden so viele Logbucheinträge auf der Seite gpsjam.org verzeichnet. Wenig überraschend stammen die meisten dokumentierten Fälle aus Osteuropa und rund um die russische Exklave Kaliningrad.

Die International Air Transport Association und die Flugsicherheitsbehörde der EU (European Union Aviation Safety Agency, Easa) beobachten mit Sorge die Störung der GPS-Signale in Nord- und Osteuropa. Erst im Jänner gab es deshalb ein Gipfeltreffen, bei dem die Gefahren der GPS-Störung und des Spoofings, also des Sendens falscher Signale, debattiert wurden. An dieser Stelle muss man aber dazusagen, dass bislang kein Fall bekannt ist, in dem die russischen Streitkräfte gezielt falsche GPS-Informationen an Linienflugzeuge geschickt hätten.

Luftfahrtbehörde ist besorgt

Dennoch: Die Easa bezeichnete die Bekämpfung der Bedrohung durch GPS-Signalstörungen als vorrangig. Außerdem wies die Behörde darauf hin, dass es aktuell zu einer erheblichen Zunahme derartiger Störungen komme und dringender Handlungsbedarf bestehe.

Die britische Zivilluftfahrtbehörde (CAA) spielte das Risiko herunter und erklärte, dass die Störung der Satellitennavigation häufig mit militärischen Aktivitäten in Verbindung gebracht werde, was aber nicht bedeute, dass kommerzielle Flugzeuge direkt angegriffen würden.

Die aktuelle Lage über Osteuropa laut gpsjam.org.
gpsjam.org

Alle modernen Flugzeuge sind mit Geräten ausgestattet, die ständig Signale von globalen Satellitennavigationssystemen (GNSS) wie dem US-amerikanischen Global Positioning System (GPS) und dem europäischen Galileo senden und empfangen. Diese Informationen zeigen die genaue Position des Flugzeugs an und helfen dem Piloten bei der Navigation während des Flugs. Von GPS-Störungen spricht man, wenn jemand absichtlich versucht, die Signalausrüstung eines Flugzeugs durch anhaltende Störungen so zu überlasten, dass es keine Informationen mehr von GNSS senden oder empfangen kann. Das bedeutet, dass das Ortungssystem des Flugzeugs nicht mehr funktioniert und weder der Pilot noch die Flugverfolger – die möglicherweise von einem Flugzeug in der Nähe oder den Fluglotsen eingesetzt werden – wissen, wo sich das Flugzeug befindet, wodurch die Wahrscheinlichkeit von Unfällen steigt.

Generell sind GPS-Störungen ein bekanntes Problem, das immer häufiger auftritt, wobei die Ostsee ein Hotspot für Angriffe ist. In einem von der International Air Transport Association (Iata) im September 2023 veröffentlichten Bericht nannte der Branchenverband auch das Schwarze Meer, den südöstlichen Mittelmeerraum und den Nahen Osten sowie die Arktis als Gebiete, die häufig von GPS-Störungen betroffen sind.

Die Störbasis in Kaliningrad

Im Jänner kam es zu einer der bislang größten Störungen des GPS-Signals. Ausgehend von Kaliningrad waren weite Teile von Polen bis an die Grenze zu Deutschland und der südliche Teil von Litauen von den Ausfällen betroffen. Die Quelle dieser Probleme dürfte ein geheimes russisches System zur elektronischen Kriegsführung namens 14Ts227 Tobol sein, wie der estnische Cybersicherheitsexperte Erik Markus Kannike erklärte.

Bei einem Tobol handelt es sich im Grunde um ein stationäres System, das speziell zur Störung der Satellitenkommunikation eingesetzt wird. Die genaue Wirkungsweise ist nicht bekannt, aber es wird angenommen, dass es die Satelliten selbst beeinflusst, wie "Newsweek" und der ukrainische "Defense Express" berichten. An der Front in der Ukraine kommen ähnliche Waffensysteme zum Einsatz, wobei diese eine geringere Reichweite haben, aber mobil sind und etwa auf einen Lkw passen. Zu nennen wäre etwa das R-330Zh Zhitel, das in der Lage ist, Satellitentelefonie sowie GPS zu stören, indem es den Wellenbereich von 100 Megahertz bis zwei Gigahertz abdeckt. Die Signalverbindungen von Bodenzielen können so in einem Bereich von 15 Kilometern, jene von Flugzeugen bis zu 200 Kilometer entfernt gestört werden.

Gefährlich bei Start und Landung

Diese Systeme sind primär dafür gedacht, die Navigationssysteme ukrainischer Langstreckenwaffen wie das Artillerieraketensystem Himars zu stören. Zivile Flugzeuge haben laut dem Bericht des "Guardian" mehrere Back-up-Systeme, weshalb ein kurzzeitig gestörtes GPS-Signal während des Flugs noch kein gravierendes Sicherheitsrisiko darstellt. Aber: Während des Rollens, bei Start und Landungen müssen Piloten und Fluglotsen genau wissen, wo sich das Flugzeug befindet. Fehlt dabei ein GPS-Signal, steigt das Risiko an, selbst wenn die Piloten geschult sind, mit solchen Problemen umzugehen. Deshalb empfiehlt die Iata den Airlines, Routen um bekannte GPS-Störungsherde herum zu planen. (pez, 24.4.2024)