Hände von Menschen aus unterschiedlichen Generationen halten verschiedene Gemüsearten.
Wer viel Gemüse isst, senkt das Dickdarmkrebsrisiko. Denn die Ballaststoffe im Gemüse sind gut für das Mikrobiom im Darm – und das wiederum schützt vor Krebs.
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Stellen Sie sich vor, man kann Krebs mit einer simplen Untersuchung verhindern – aber niemand geht hin. Genau das passiert beim Dickdarmkrebs. Knapp 50.000 Menschen bekommen in Österreich jedes Jahr die Diagnose Krebs, rund 21.000 sterben deshalb, es ist die dritthäufigste Todesursache. Das Kolonkarzinom ist die dritthäufigste Krebsart und für knapp zehn Prozent der Krebstoten verantwortlich, also gut 2000 pro Jahr. Das Tragische: In den allermeisten Fällen könnte man diese Todesfälle verhindern.

Tatsächlich ist Dickdarmkrebs eine von nur zwei Krebsarten, bei der das möglich ist. Üblicherweise kann man Tumoren nur durch Früherkennungsprogramme entdecken, das Brustkrebsscreening bzw. die regelmäßige Prostatauntersuchung ab einem bestimmten Alter sind zum Beispiel solche Ansätze. Die Annahme: Findet man einen Tumor so früh wie möglich, kann man ihn rasch und möglichst unkompliziert entfernen, Lebensqualität bleibt erhalten, und die Wahrscheinlichkeit, daran zu sterben, sinkt deutlich.

Ein guter und erfolgreicher Ansatz, wie Statistiken zeigen. Noch viel besser wäre es allerdings, den Tumor erst gar nicht entstehen zu lassen. Das gelingt etwa bei Gebärmutterhalskrebs, der durch Humane Papillomaviren (HPV) entsteht. Mit regelmäßigen Untersuchungen kann man Vorstufen erkennen und operativ entfernen. Die HPV-Impfung, die bald für alle bis zum 30. Geburtstag kostenlos sein wird, verhindert das Festsetzen der gefährlichsten Virenstämme sogar komplett.

Einmal nachschauen bitte

Eine ähnlich erfolgreiche Maßnahme gibt es beim Dickdarmkrebs: die Koloskopie. Das ist die Darmspiegelung, und die sollte man ab 45 Jahren zumindest alle fünf Jahre durchführen lassen. "Eine Koloskopie kann wirklich durch nichts ersetzt werden", betont der Allgemein- und Gefäßchirurg Béla Teleky. Der Hintergrund: Dickdarm entsteht in den allermeisten Fällen aus Darmpolypen. Das sind prinzipiell harmlose, gutartige Zellansammlungen, die durch unkontrolliertes Zellwachstum in Dick- und Enddarm entstehen. Sie können aber langfristig entarten und bösartig werden. Entdeckt man so einen bei der Vorsorgeuntersuchung, kann man den Polypen entfernen, das Gewebe wird untersucht, passt alles, ist die Krebsgefahr gebannt.

Das Polypenwachstum ist dabei sehr langsam, fünf bis zehn Jahre dauert es, bis daraus potenziell ein Tumor entsteht – deshalb reicht auch ein Untersuchungsintervall von fünf Jahren für normal gesunde Menschen ohne Risikofaktoren. Doch nur 15 bis 20 Prozent der Menschen ab 45 lassen die Untersuchung in regelmäßigen Intervallen durchführen, bedauert Teleky.

Spezielle Tests, mit denen man den Stuhl auf Blut untersuchen kann, sieht er nicht als Ersatz: "Es gibt ja auch Tumoren, die nicht bluten. Umgekehrt kann das Blut aus Hämorrhoiden stammen. Dann muss man erst eine Darmspiegelung machen. Und eine Koloskopie ist eine der ganz wenigen Basisuntersuchungen, bei der man auch gleich einen therapeutischen Ansatz hat."

Es liegt am Lebensstil

Doch warum entsteht Dickdarmkrebs überhaupt? Dabei handelt es sich um einen Lebensstil-bedingten Krebs. Und da kann man vorbeugen, weiß Irene Kührer, internistische Onkologin und Vorstandsmitglied der European Federation for Colorectal Cancer: "Es gibt ganz klare Risikofaktoren für ein Dickdarmkarzinom. Das sind etwa zu viele tierische Fette in der Ernährung, Alkoholkonsum, die Zusammensetzung des Mikrobioms, also die Bakterienvielfalt im Darm, und zu wenig Bewegung."

Besonderen Fokus legt Kührer beim Lebensstil auf ausreichend Ballaststoffe in der Ernährung. Wobei der regelmäßige Stuhlgang, den viele dadurch haben, nur ein positives Nebenphänomen ist. "Die Ballaststoffe sind Futter für jene Darmbakterien, die sich positiv auf die Darmgesundheit auswirken. Nur essen die meisten zu wenig davon. Dabei kann man ganz leicht ausreichend versorgt sein, wenn man sich an die Richtlinie hält, fünf Portionen Gemüse und Obst pro Tag zu essen. Da bekommt man auch gleich ausreichend Vitamine und sekundäre Pflanzenstoffe." Ebenso reich an Ballaststoffen sind Hülsenfrüchte und Vollkornprodukte.

Im Gegenzug können wiederholte Antibiotikagaben oder Durchfallerkrankungen die Vielfalt des Mikrobioms beeinträchtigen. In so einem Fall empfiehlt Onkologin Kührer einen gezielten Aufbau: "Das muss aber nicht immer mit einem Produkt aus der Apotheke passieren. Die entsprechenden Bakterien sind zum Beispiel auch in Joghurt drin." An sich brauche der gesunde Mensch aber keine externe Zufuhr solcher Bakterienkulturen, sagt die Expertin, das sei eben nur nach Schwächung des Mikrobioms nötig. Sie hat aber noch einen anderen wichtigen Hinweis: "Ein Übermaß an Fleischkonsum und tierischen Fetten sind bei der Entstehung von Dickdarmkrebs ein wesentlicher Faktor. Einmal pro Woche Fleisch ist wirklich ausreichend."

Viele Therapieansätze

Neben dem Lebensstil gibt es aber noch weitere Risikofaktoren für eine Erkrankung. Chirurg Teleky verweist auf die Genetik: "Ich mache immer auch eine Familienanamnese, bis zurück in die Großelterngeneration. Bei entsprechender Familienhistorie oder bei darmspezifischen Erkrankungen und Entzündungen kann eine Koloskopie auch schon vor dem 45. Lebensjahr ratsam sein." Leidet man etwa an der chronisch entzündlichen Darmerkrankung Colitis ulcerosa, entwickelt man 20- bis 30-mal öfter ein Kolonkarzinom als im Bevölkerungsdurchschnitt. "Und auch bei Morbus Crohn kann eine Entartung passieren."

Kommt es zu einem Tumor, sind die Behandlungsmöglichkeiten mittlerweile deutlich fortgeschritten. Teleky betont diesbezüglich den Erfolg der interdisziplinären Zusammenarbeit: "In sogenannten Tumorboards stimmen sich Gastroenterologen, Röntgenologen, Strahlentherapeuten und weitere Spezialistinnen und Spezialisten ab, welcher Therapieansatz für die individuelle Person der jeweils beste ist. Wir lernen da auch von den gegenseitigen Disziplinen im Sinne der Patienten."

Auch Onkologin Kührer betont, dass das Kolonkarzinom heilbar ist, auch in fortgeschrittenem Stadium. Doch anders als viele immer noch denken, ist der Chirurg nicht zwingend der erste behandelnde Arzt. "Oft wird vor der Entfernung eine neoadjuvante Chemotherapie angewendet, die den Tumor verkleinert. Dadurch kann man die anschließende Operation besser durchführen und das Risiko verringern, dass sich Metastasen bilden." Die neoadjuvante Therapie war zuletzt in den Schlagzeilen, weil Prinzessin Kate öffentlich gemacht hat, dass sie diese aufgrund ihrer Krebserkrankung erhält. Man weiß allerdings nicht, an welcher Krebsform die Frau des britischen Thronfolgers erkrankt ist, die Therapie kommt bei unterschiedlichen Tumoren zum Einsatz.

Dass sich der Tumor verkleinert, ist vor allem beim Enddarmkrebs ein wesentlicher Faktor. "Das hilft auch beim Organerhalt. Durch die Strahlen- und Chemotherapie im Vorfeld verschwindet das Rektumkarzinom bei rund 30 Prozent der Betroffenen komplett", weiß Kührer.

Watch and Wait

Eine große Angst der Betroffenen ist bei so einem Eingriff übrigens die Sorge, ob sie dadurch dauerhaft einen künstlichen Darmausgang, einen Stoma, bekommen. Würde man gleich operieren, wäre das wohl bei 30 bis 35 Prozent der Betroffenen der Fall, weiß Teleky. Unter anderem, um diese Situation zu verbessern, hat sich die international vernetzte "Watch and Wait"-Gesellschaft etabliert, die bei einem neoadjuvant behandelten Tumor engmaschig kontrolliert, ob es zu einem neuerlichen Wachstum kommt. Teleky, der ja selbst Chirurg ist, weiß: "Nicht wenige Chirurgen sind bei diesem Ansatz zurückhaltend, es ist ja ihre Aufgabe, zu operieren. Aber durch die Interdisziplinarität, die die Tumorboards gewährleisten, kann man mit diesen neuen Ansätzen arbeiten und hier die Lebensqualität für die Betroffenen langfristig sichern."

Teleky betont aber, dass man auch mit einem dauerhaften Stoma, also wenn der Darm nicht rückoperiert werden kann, eine sehr gute Lebensqualität haben kann: "Ein Stoma ist mittlerweile so sicher, man kann sogar damit schwimmen gehen." Man würde das natürlich verhindern, wenn es möglich sei. Doch es gebe auch Betroffene, die lieber mit einem gut funktionierenden künstlichen Darmausgang leben als mit einer Inkontinenz.

Insgesamt, betont Kührer, hat sich in den vergangenen Jahren viel getan: "Wir verstehen mittlerweile viel besser, wie Tumorzellen funktionieren und ihr zerstörerisches Wachstum ausführen. Daraus haben sich auch neue Therapiemethoden entwickelt." Die noch recht neue Immuntherapie mache etwa auch beim Kolonkarzinom große Fortschritte. Noch könne man nicht vorab sagen, welche Betroffenen von diesem komplexen Therapieansatz profitieren können. Aber: "Wir passen die Behandlung je nach Tumorart, Stadium, Größe, sowie Betroffenenalter und eventuellen Komorbiditäten immer individuell an die betroffene Person an. Damit können wir insgesamt bessere Heilungserfolge bewirken." (Pia Kruckenhauser, 25.4.2024)