Es ist eine Frühlingsnacht, in der es noch einmal richtig kalt wird. Um etwa 22 Uhr kommen drei Männer und eine Frau aus dem Grazer Rathaus und steuern den Nachtwürstelstand auf dem Hauptplatz direkt vor dem Rathaus an, um nach ihrer Klubsitzung noch etwas zu essen. Dass ihnen zusätzlich zu Trank und Speis noch eine spektakuläre Wende im blauen Finanzskandal aufgetischt werden würde – das hatten sich die vier Ex-Blauen, die im Streit um die Aufklärung dieser Affäre aus der FPÖ ausgeschieden waren, nicht erwartet.

Der Besuch des Nachtwürstelstandes vor dem Grazer Rathaus nahm eine unerwartete Wendung für Mandatare und Mitarbeiterinnen des Korruptionsfreien Gemeinderatsklubs.
Getty Images/iStockphoto

Es ist ein Skandal rund um mutmaßlich veruntreutes Steuergeld, der sich mittlerweile zu einem Flächenbrand für die steirische FPÖ entwickelt hat. Die Liste der Beschuldigten umfasst zehn Personen, darunter den Landesparteiobmann und Ex-Minister Mario Kunasek genauso wie den mittlerweile parteilosen früheren Grazer Vizebürgermeister Mario Eustacchio. Die Ermittler gehen inzwischen von 1,8 Millionen Euro aus, die versickert sind.

Der Einzeltäter

Ins Rollen gebracht wurde all das durch anonyme Schreiben, in denen ein Whistleblower scharfe Vorwürfe rund um die Finanzgebarung in der Grazer Stadtpartei anführte und entsprechende Dokumente mitschickte. Wenig später kam es zum Rücktritt der gesamten Stadtparteispitze. Im November 2021 reichte dann jener Mann eine Selbstanzeige ein, der jahrelang die Finanzen der Grazer Stadtpartei betreut hatte: Matthias Eder. Er nahm die Verantwortung für diese Vorgänge auf seine Kappe und behauptete, das Geld für sich selbst verwendet zu haben. Den Betrag zahlte er auf ein Konto der Staatsanwaltschaft zurück. Möglicherweise hoffte er, durch tätige Reue ungestraft davonzukommen.

In der Grazer FPÖ glauben einige diese Version von Beginn an nicht. Darunter Alexis Pascuttini, der nach dem Aufkommen der Affäre zum blauen Klubobmann im Grazer Gemeinderat wurde, und Stadträtin Claudia Schönbacher. Lange währte ihre Karriere in der FPÖ deshalb nicht: Schon im Herbst 2022 wurden die beiden aus der Partei geschmissen. Daraufhin gründeten sie den Korruptionsfreien Gemeinderat (KFG).

Nächtliches Aufeinandertreffen vor dem Grazer Rathaus: Die Zunge sitzt locker.
IMAGO/Pond5 Images

Es ist eine besondere Ironie dieser Geschichte, dass Pascuttini und drei weitere Funktionäre von einer KFG-Klubsitzung kommen, als sie Richtung Würstelstand gehen – und dort auf Eder treffen.

Lange haben die vier Ex-Blauen den Mann, der sich selbst angezeigt hatte, nicht mehr gesehen. Zunächst erkennt Pascuttini ihn gar nicht; der Bart ist dichter, die Haare sind länger. Vorsichtig nähern sie sich ihm, sprechen ihn an. Zunächst reagiert Eder unwirsch, beschimpft Pascuttini. Doch man stellt sich schließlich gemeinsam an einen Tisch, bestellt Bier, Weißbier und normales und trinkt es. Und Eder beginnt zu erzählen.

"Meinen Schädl hinghalten"

Es ist kein Ibiza, aber eine Nacht, in der Eders Zunge locker sitzt. Irgendwann drücken zwei Personen aus der KFG-Gruppe bei ihren Handys auf Aufnahme und zeichnen das Gespräch auf – es werden über drei Stunden. Irgendwann fährt eine Straßenkehrmaschine über den Platz.

Dem STANDARD liegt ein Transkript einer der Aufnahmen vor. Es liest sich wie ein Krimi. Denn Eder sagt nicht nur Unheil für den KFG-Klubchef Pascuttini voraus, er revidiert in der hitzigen Diskussion auch seine Aussage, auf der bisher der ganze Fall der Justiz aufgebaut wurde.

Eder sagt etwa: "Ich bin immer gstanden, und ich steh noch grad, da gibt's nichts mehr zum Gwinnen." Und Immobilienmakler Eder hält den jüngeren Ex-Kollegen einen Vortrag darüber, dass man zu Freunden stehen müsse. Er selbst habe 17 Mensuren gefochten und sei in einer Zeit "dabei" gewesen, als der 27-jährige Jurist Pascuttini noch "gar nicht gewusst" habe, "worum's geht".

Doch dann sagt Eder auch Folgendes: "Dass ich für die ganzen Eierdodeln meinen Schädl hinghalten hab, find ich eh erbärmlich."

Und nachdem die anderen vier immer wieder betonen, dass sie ihm nicht glaubten, dass er allein schuldig sei, ruft er schließlich ungehalten: "Natürlich war i's ned allan, wie soll ich allan 700.000 Euro gfladert haben? Wer glaubt des?"

"Etwas ganz Schlimmes"

Die anderen fordern ihn mehrmals auf, den Behörden "die Wahrheit" zu sagen, doch Eder kontert: "Die Wahrheit ist so bitter, dass sie uns allen wehtut." Eder entlastete dabei Kunasek, den er "den Unschuldigsten" nennt. Wer konkret die Schuldigen sind, sagt er nicht.

Und: Eder deutet an jenem Abend Mitte April an, dass Pascuttini "etwas ganz Schlimmes passieren" werde und dieser sein geplantes Aufdeckerbuch über den Finanzskandal nicht schreiben werde.

Pascuttini und seine Kollegen haben beide Aufnahmen der ermittelnden Behörde übergeben, und der KFG-Anwalt Matthias Cernusca hat eine Eingabe bei der Staatsanwaltschaft gemacht, in der das Gespräch geschildert und der Antrag gestellt wird, die Anwesenden als Zeugen einzuvernehmen.

Pascuttini sei nicht überrascht darüber, dass die "Geschichte, die man der Öffentlichkeit auftischen wollte, dass ein einziger Mitarbeiter allein über Jahre hinweg Unsummen an Partei- und Klubgeldern veruntreut haben soll, ohne dass jemand etwas mitbekommen hat, ein völliger Fake ist", wie er dem STANDARD sagt. Er verlange auch, dass die Ermittler den Untersuchungszeitraum, der "aufgrund der Selbstanzeige von Matthias Eder nur bis 2014 zurückreicht, umgehend bis auf das Jahr 2008" ausweiten.

"Alles Mögliche gesagt"

Der rudert über seinen Anwalt Bernhard Lehofer, der auch die steirische FPÖ vertritt, zurück: "Der Inhalt meiner Selbstanzeige vom 5.11.2021 entspricht vollinhaltlich der Wahrheit. Richtig ist, dass ich in der Nacht vom 15. auf den 16. April in schwer alkoholisiertem Zustand alles Mögliche gesagt habe, ich kann daher nicht ausschließen, dass ich auch die von Ihnen erwähnten Äußerungen tatsächlich getätigt habe. Richtig ist aber, dass ich in Bezug auf den Betrag von rund 700.000 Euro die alleinige Verantwortung trage, so wie ich dies auch in meiner Selbstanzeige offengelegt habe. Keineswegs habe ich die Schuld auf mich genommen, um jemand anderen zu schützen."

Und: "Ich kann nur mutmaßen, dass ich meine alleinige Verantwortung auf andere verteilen wollte, um selbst in einem besseren Licht dazustehen und mich selbst besser zu fühlen. Ich bedaure dies zutiefst. Ich habe natürlich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass Alexis Pascuttini in Gefahr ist oder gar bedroht wird. Im Übrigen werde ich im Detail anlässlich meiner nächsten Einvernahme bei der Polizei Stellung beziehen und eine Aussage machen."

Was die Drohungen gegen seine Person angeht, meint Pascuttini nur: "Ein mulmiges Gefühl bleibt schon zurück." Vor allem, weil es im Dunstkreis der Finanzaffäre unlängst zu einem unerwarteten Todesfall gekommen ist: Vergangene Woche wurde der ehemalige Büroleiter von Ex-Vizebürgermeister Eustacchio tot aufgefunden. Die Staatsanwaltschaft geht von einem Suizid aus, ein ballistisches Gutachten ist aber noch ausständig. Der KFG-Anwalt beantragte nun, die "digitalen Geräte und analogen Unterlagen" sicherzustellen.

Weitermachen will Pascuttini trotzdem, und zwar schon am Dienstag, dem 7. Mai: Dann ist er in den U-Ausschuss zu "rot-blauem Machtmissbrauch" geladen. (Colette M. Schmidt, 3.5.2024)